Tanzmoden rannten sie nie nach. Und ein bisschen spröde sind sie auch. Gerade deshalb ist das Choreografen- und Tanzduo WILHELM GROENER zu einer festen Größe in der Berliner Tanzlandschaft geworden. Zum Jubiläum zeigen sie in den Uferstudio eine Retrospektive ihrer Stücke. Wiedersehen oder Neuentdeckungen macht Freude – vor allem »Hotel Hassler« ist eine Wucht. Zitty Nr. 12/2011

Jetzt kann man wieder im Hotel Hassler einchecken – auf eigene Gefahr. Denn auf Garstigkeiten muss man sich gefasst machen bei WILHELM GROENER. Die Berliner Tanzperformance-Gruppe feiert 10-jähriges Bestehen mit einer Werkschau in den Uferstudios. Hinter WILHELM GROENER stecken die bildende Künstlerin Mariola Groener und der Tänzer-Choreograf Günther Wilhelm. Ihre konzeptuellen Stücke sind oft von strenger Zeichenhaftigkeit, wobei immer wieder Irritationen eingebaut sind. Sandra Luzina, Tagesspiegel, 26.05.2011

Es war die Zeit der großen Anfänge. Vor ungefähr zehn Jahren wurden einige wichtige zeitgenössische Tanz- und Kunstinitiativen in Berlin gestartet. Unter anderem wurden WILHELM GROENER geboren. Die Künstlerin Mariola Groener und der Choreograf Günther Wilhelm taten sich zusammen, um fortan choreografische Grundfragen zu erörtern. Nie ohne Augenzwinkern luden sie ins herrlich schaurige »Hotel Hassler« oder zur spiritistischen Versuchsanordnung in »Wie ist dein Name?« All diese Orte dürfen nun wieder besucht werden. In einem viertägigen Jubiläumsfest blicken WILHELM GROENER auf alte Arbeiten zurück, wagen sich ans Reflektieren und wollen wissen, wie man mit einem eigenen Archiv so umgeht. Herzlichen Glückwunsch! Tanzraumberlin, Mai/Juni 2011

Als die beiden sich vor einem Jahrzehnt zusammenfanden, waren sie schon keine Unbekannten mehr. Günther Wilhelm, in München aufgewachsen, hatte japanischen Butoh-Tanz, klassischen und modernen Tanz dort wie auch in Berlin studiert, gehörte lange VA Wölfls Düsseldorfer Radikalgruppe Neuer Tanz an. Auch die gebürtige Polin Mariola Groener wuchs in der bayerischen Metropole auf, studierte Kommunikationsdesign, Fotografie sowie Audiovisuelle Medien an der Hochschule der Künste Berlin und der Universität Gesamthochschule Essen-Folkwang. Inzwischen kann sie auf über 50 Ausstellungen in Berlin und andernorts verweisen. Wilhelm wiederum blieb in einem Solo, das Christoph Winkler für ihn entworfen hatte und das seine Bandbreite als Tänzer wie Akteur auswies, nachhaltig im Gedächtnis. Bekannt geworden sind beide, Wilhelm und Groener, hauptsächlich jedoch durch das Duo, das sie am 1. Mai 2001 ins Leben riefen. WILHELM GROENER, heißt es schlicht, verbirgt unter scheinbar einem Namen zwei Künstler, die dennoch etwas eint. Was sie verbinde, über ihre Freundschaft hinaus, sagen sie, sei jener Raum, den das Label aufspannt: In ihm verzahnen sich ihre Gedanken und Empfindungen zum Bild, das Bewegung und Projektion werde, woraus dann wieder Empfindungen und Gedanken entstehen. In ihrer Beobachtung der Wirklichkeit teilen sie die Vorliebe für abseitige und absurde Aspekte des Lebens, für die Dualität der Dinge. Die formal akkurate Bearbeitung eines Motivs in Bild und Bewegung kann so in eine ebenso nüchterne wie ironische Betrachtung umschlagen, erläutern sie ihren Arbeitsstil; Ordnung entarte dabei zum Chaos. In der Dekade des Miteinanders von WILHELM GROENER sind bisher 13 Bühnenarbeiten entstanden, 18 Stationen der Performance-Reihe »33 Skizzen«, Video- und Fotoarbeiten, Installationen und Editionen, Gedichte und Ausstellungen. Wilhelm und Groener sind damit eine der langlebigen Formationen in Berlins brodelnder Tanzszene. Waren drei ihrer Produktionen zu der »Tanzplattform« genannten Zusammenschau zeitgenössischen Tanzes aus Deutschland geladen, so entstehen die »33 Skizzen« jeweils vor Ort und auf ihn bezogen: ob in Galerie, Büro, Funkhaus, Zeche, und das von Leipzig über Berlin und Ahrenshoop bis nach Tallinn, Kreta und Plovdiv. Grund zu feiern ist das allemal. Das tun Wilhelm und Groener an vier Tagen in den Uferstudios. »WILHELM GROENER – geboren am 1. Mai 2001 in Berlin« als Titel bietet nicht nur alle wichtigen Informationen, sondern mit bis zu drei Vorstellungen pro Abend auch einen Querschnitt des Repertoires. Mit »Sturz sei Dank« (2003) um die Situation des Scheiterns und Strauchelns eröffnen die Protagonisten selbst; für »Am Anfang war das Ende« (2009) über den Zusammenhang zwischen Himmel und Erde in suggestiver Bildästhetik haben sie drei Mitstreiter gedungen. Dem Mythos vom künstlichen Menschen forscht Wilhelm als Solo in der gekürzten Neuversion von »Getrennte Präsenz« aus dem Jahr 2001 nach, gefolgt von der etwas verworrenen spiritistischen Versuchsanordnung »Wie ist dein Name?« (2007). Zu später Stunde dann am selben Tag die Vokalperformance des Franzosen Aymeric Hainaux und die obligate Party. »Hotel Hassler« (2008) über einen Vexier-Raum zwischen Grausamkeit und Empathie sowie »Ortnung« (2002) um das Orten als Positionierung und Ordnung als Zustand füllen den dritten Tag. »Reden übers Repertoire« heißt salopp eine Gesprächsrunde zum Finale, ehe als Trip durch die Geschichte der Vesperbilder das Trio »Am Bildaltar« Berlin-Premiere feiert. Man darf gespannt sein, welche Folgen diese Werkschau hat: für den Zuschauer und, mehr noch, für WILHELM GROENER. Volkmar Draeger, Neues Deutschland, 26.05.2011

Günther Wilhelm steht mit ausgebreiteten Armen, den Kopf leicht zur Seite gesenkt, auf der Bühne der Weddinger Uferstudios. »Am Bildaltar« heißt das Stück, das sie hier geben. Wilhelm stellt mittelalterliche Ikonografien nach. Keine Ironie trübt die fromme Märtyrerpose, die er einnimmt. Es ist ein ernsthaftes Nachspüren, Befragen, Erinnern. Ebenso, als Wilhelm sich niederlegt und Anna Melnikova und Maria F. Scaroni hinzu kommen, in erdfarbene Gewänder gekleidet, allerdings mit glitzernden Leggins darunter, und sie zu dritt das Vesperbild nachstellen. Ein klein wenig scheint etwas Irritierendes durch diese sehr ernsthaften Bemühungen Frömmigkeit, Mitgefühl und Annehmen des Leidens zu verkörpern. Vor allem Günther Wilhelm, der gemeinsam mit der Choreografin Mariola Groener die Compagnie WILHELM GROENER bildet, kann so etwas: Ganz und gar bei der Sache sein, und trotzdem ist da noch etwas zweites, anderes in ihm, das so etwas wie ein abgelöstes Eigenleben führt. »Am Bildaltar« ist die letzte von einer ganzen Reihe von Arbeiten, die die Compagnie WILHELM GROENER aus Anlass ihres zehnjährigen Bestehens in den Uferstudios zeigen. Noch weiß man nicht, worauf der Abend hinlaufen wird. Auch nicht, als die Rollen getauscht werden, als sich eine der beiden Tänzerinnen auf den Boden legt und Günther Wilhelm die Pose der um ihren Sohn trauernden Maria einnimmt. Nur das bemerkt man: So fest eingeschrieben haben sich die Bilder, dass sie im Geschlechtertausch nicht funktionieren. Obwohl auch jetzt alle drei Beteiligten sehr kunstvoll, präzise und ausdrucksstark die Piéta wiedergeben. Die mittelalterliche Frömmigkeit, so stellt sich nun aber auch bald heraus, hat Mariola Groener und Günther Wilhelm, gar nicht interessiert. Eher das, was sie dahinter sehen an unterdrückten Gefühlen, Angst, Wut, Begehren. Das ist alles genau gearbeitet. Die beiden Choreografen, so heißt es in einem Porträt, würden sich hervorragend auf das dialektische Verhältnis zwischen dem, was wir wissen und dem, was wir sehen, verstehen. In »Am Bildaltar« spielen Wilhelm und Groener genau damit. Mit all dem Unsichtbaren, das dem Vesperbild eingeschrieben ist. Michaela Schlagenwerth, Berliner Zeitung, 06. Juni 2011