Sie mag überraschend sein, verschmitzt, beiläufig oder wirkungssicher; nur eines ist sie niemals: auftrumpfend. Die Geste, die große – sie steht, wenn überhaupt, dann immer nur in Anführungsstrichen da. Denn WILHELM GROENER haben sich als ihr Sujet eher die Reste der Geste ausgespäht, ihr abgelegtes, oft zerknittertes Gewand, ihre Formkrümel und ihre Betrübtheit. Jenes Pathos, mit dem der Blick nach Innen einst den Bewegungsausdruck aufblies wie einen Luftballon, es hat das Künstlerduo nie interessiert. Nicht auratische Präsenzfülle konstruieren Mariola Groener und Günther Wilhelm, sondern eine Strukturbeobachtung in der Bewegung, und ein Spiel mit dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren. Sie inszenieren jenes dialektische Verhältnis zwischen dem, was wir wissen und dem, was wir sehen; jedes Bild ist unsichtbar in seiner Ganzheit, und umgekehrt wird auch im Dunkeln offenkundig, was anwesend ist (so wie in „Am Anfang war das Ende“ [2009] das Motiv der ausgeblasenen Kerze die Visualisierungs-Klammer bildet.) Dies widersprüchliche Regime der Sichtbarmachung hat viele Anhänger. Denn die Welt ist voller vertriebener Bilder und Bewegungen, voller Gebärden, die sich im Laufe ihrer Bedeutungen verirrt haben und sich oft erst wieder auf der Bühne von WilhemGroener wohl und heimisch zu fühlen scheinen (auch wenn sie den ihnen zugewiesenen Platz dort bisweilen nur widerwillig einzunehmen bereit sind). Aber sei’s drum, die Bühne ist immer großzügig wie eine Wohngemeinschafts-Küche der alten Schule. Sie bietet Platz für Vieles – Bilder, die erschrocken vorüberziehen; Einfälle, die uns zufallen; Ebenen, die sich verneigen; Behauptungen, die auf dem Kopf stehen. Die ewige Ordnung also, die sich bildet, um auf ihre Unordnung zuzueilen, ebenso wie das Bild auf sein Unsichtbares. Vorlage und Imitat, eigene Inspiration und die Beeinflussung durch das immer schon Anwesende schieben die choreographische Gestaltung von Körpern, Bewegungen, Objekten und Bildern ineinander wie die Teile eines Puzzles. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, daß die Teile auch dann schon ein Abbild ergeben, wenn sie noch gar nicht akribisch aneinandergefügt und an die richtige Stelle geknipst sind. Die „richtige Stelle“ ist ohnehin bloß eine Funktion des Materials, das ausgebreitet wird und daher die ordnend-fügende Hand des Autors nur beiläufig braucht. Solches Understatement in der Gestaltung ist eine zentrale Qualität im Werk von WILHELM GROENER. Es könnte so sein oder auch anders; bei aller Akribie und rhythmischen Bemessung bleibt das Schalkhafte dominierend. Ordnung ist eine Anordnung des Materials, aber sie ist auch eine Anordnung (verstanden als Aufruf) zum Chaos. Ordnung ist ein künstlicher Zustand, den WilhelmGroener immer wieder herbeiführen, dann aber gewissenhaft um sein dialektisches Gegenstück ergänzen, um so die Bösartigkeit, aber eben auch die Schwäche aller Ordentlichkeit zu zeigen. Das Böse der Ordnung aber ist immer schon des Spaßigen Anfang. Wie ein roter Faden – er war schon das Erkennungssignal in „Sturz sei Dank“ von 2003 – läuft die Ambivalenz aus beiden Enden der künstlerischen An-Ordnungen durch die Stücke. Eines pro Jahr entsteht, und die Schlüssigkeit, mit der die Themen sich wiederholen, variieren, kommentieren, aufs Korn nehmen und in Frage stellen, ist verblüffend. Das liest sich simultan auch an den „33 Skizzen“ ab, einem fortlaufenden Projekt der Materialrecherche und dokumentarischen Aufbereitung. 17 Stationen wurden bislang realisiert; sie bilden eine Art bildkünstlerisches Arbeitsarchiv, in dem die verschiedenen Themen und Fragestellungen, die Verbindung auch zwischen bildender Kunst und Aufführungskunst niedergelegt sind und ablesbar bleiben: ein spezifisches Verhältnis zur Flächigkeit des Bildes und seiner verräumlichten Dimension; ein beständiges Reagieren auf Räume, also auf vorgegebene Strukturen, und deren Umschmeichelung durch choreographische Verfahren; die Konfrontation gefundener und gestalteter Bilder, also von Licht-Projektionen und Bewegungsskizzen; und natürlich das beständige Aufrufen von ikonographischer Tradition – bis hin zu „Am Bildaltar“ (2010) mit den Zitaten von Pathosformeln und religiösem Kitsch. In der dazugehöirgen Skizze „am Bildaltar“, 2009 realisiert in der Berliner Galerie Ben Kaufmann, gehört auch Mary Wigmans umstrittenes „Totenmal“ (1930) in den Zitatfundus. Bei diesen Erkundungen im Zwischenreich der Bilder, der Sinnproduktion und der Autorschaft wird die Kunst mit einfachsten Mitteln aufs Glatteis geführt. Ein paar Klischees genügen, um „fast vergessene Volkstänze“ (2005) einfach frei zu erfinden; die rührende Kinderschrift auf einem Overhead-Projektor reicht aus zur Geisterbeschwörung in „Wie ist Dein Name“ (2007), wo auch, am Ende, für ein Schattenspiel der Geister zwei Glühbirnen und ein seitlicher Schritt ausreichen, die Personen einfach durcheinander hindurchgehen und sich vertauschen zu lassen; halbdurchsichtige Plastikfolien, auf einfache Holzgestelle getackert, erlaubten in „Paravent privé“ (2005) die denkwürdige Überfahrt der Aufführung ins Reich der Schatten und wieder zurück zum Zuschauer; und „Hotel Hassler“ (2008) nach Thomas Bernhards Roman „Auslöschung“ trug die Verschraubungen, Geistesblitze, Wutanfälle und Gefühlsausbrüche ganz bildlich mit sich herum. Trotz der biederen Kostüme und gediegenen Posen wohnte dem Stück so viel Bosheit inne, daß am Ende nur noch der Untertitel bleibt, den Thomas Bernhard seinem Roman beigab: „ein Zerfall“. Aber bei WilhelmGroener ist das eben in der feinen Form der Skizze, der Beiläufigkeit, des Abständigen gegeben. Ordnung ist nur ein Modus von Unordnung. Dies konstitutive Chaos zur Ansicht zu bringen, ohne daß der Betrachter es so recht bemerkt – darin liegt die heitere Großzügigkeit der Arbeitsweise des Duos. Aus Exerzitien wird Gewalt, aus Gewalt wird Gelöstheit, aus Gelöstheit entsteht der neue Blick. Er ist sich des Gesehenen nicht mehr ganz gewiß. Aber das ist in Ordnung. Schließlich geht es um Unordnung.